Vor 20 bis 30 Jahren lautete die Frage: „Führen Sie gute Weißweinsorten?… gerne aus dem Burgund, oder auch aus Australien, wenn Sie haben.“ Kaum zu glauben, dass diese gezielte Abneigung gegenüber den Weinen aus Deutschland noch gar nicht so lange her ist. Um 1900 wurde für den deutschen Wein in den besten Restaurants gut und gerne ein Preis pro Flasche gezahlt, welcher nicht selten die 500 Markgrenze überschritt. Nur was passierte in der Zeit zwischen 1950 und 1990? Wir decken auf, welche Ups and Downs der deutsche Wein in den letzten Jahrzehnten erlebt hat und warum es sich insbesondere aktuell lohnt, in deutschen Wein zu investieren.
Wirtschaftlich angeschlagen – Viel Masse statt Klasse
Dass Deutschland nach 1950 wirtschaftlich einiges aufzuholen hatte, ist kein Geheimnis. Dem Otto-Normalverbraucher fehlte es an Geld, um in hochwertigen Wein zu investieren. Und diejenigen, die hochwertigen Wein schätzten und gerne viel Geld dafür ausgaben, haben vor allem eines getan: sich nicht mehr in Deutschland umgesehen!
Es wäre falsch, mit dem Finger auf den Konsumenten zu zeigen und zu behaupten, der Deutsche mit viel Geld kaufte aber damals lieber Grand Crus aus dem Burgund oder Rotweine aus dem Chianti – aus dem Grunde wurde der deutsche Weinbau ruiniert und nicht mehr geschätzt. Natürlich kaufte der kultivierte Weinkonsument die großen Chardonnays bzw. Pinot Noirs aus Frankreich, aber vielmehr aus dem Grund, weil die französische Weinkultur seinen Weg gegangen ist und nicht, weil der Markt es so wollte. Schon damals haben die Franzosen auf den Ausbau von regionalen Rebsorten geachtet, auf Ertragsreduzierung und auf das ganz große Thema, was in Deutschland nicht geschätzt und gelebt wurde: „herkunftsbezogene Weine keltern“.
In Deutschland wurde vor allem der Wein mit viel Alkoholsüße, mit viel Fruchtsüße und generell einem hohen Alkoholwert konsumiert. Geniale Rebsorten wie Riesling oder Silvaner wurden verramscht, billig produziert und in großen Massen verkauft. Kriterien wie Ertragsreduzierung, das Herausarbeiten der Lagentypizität sowie Eleganz und Feinheit waren streng genommen Fremdwörter in Deutschland, das ständige Aufzuckern der sauren Moste wurde hingegen zum Trend. Der Diethylenglykol-Skandal um 1985 war dann der Höhepunkt des Scheiterns, als Weine entgegen der weingesetzlichen Herstellungsbestimmung mit Diethylenglykol versetzt wurden. Dieser Skandal fand seinen Ursprung in Österreich, ist dann aber schnell auch in Deutschland identifiziert wurden. Der deutsche Wein, allen voran in den Anbaugebieten Rheinhessen und Pfalz, verlor endgültig seinen Ruf und das Vertrauen beim Konsumenten verschwand endgültig. Dazu kam auch noch, dass hochwertige Einzellagen gar nicht mehr auf dem Etikett erwähnt, sondern einfach eine Großlage als Sammelbegriff aller einzelnen Lagen verwendet wurde. Eine Verbrauchertäuschung, die vor allem die aktuelle Winzergeneration damals zur Weißglut brachte.
Ein Wandel musste her, der deutsche Wein benötigte eine Revolution bzw. einen Rundumschlag, weg vom Massenwein und süßer „Plörre“, hin zum ehrlichen und naturnahen Qualitätswein.
Herkunftsdenken und Klasse statt Masse
Für diesen Schritt benötigte es aber vor allem viel Aufklärungsarbeit und die absolute Kompromisslosigkeit seitens der Winzer und Weingüter, endlich wieder das groß zu machen, was den deutschen Weinbau vor 100 Jahren schon groß gemacht hat: Nämlich die Grand Crus, welche wir in Deutschland zweifelsohne hatten und immer noch haben. Auch wenn die aktuelle Klassifizierung des VDP´s dem französischen Modell ähnelt, so ging es nie darum, irgendetwas zu kopieren. Es ging in erster Linie darum, wieder Eigenständigkeit und Herkunft zu zeigen. Ein rheinhessisches Weingut, wie beispielweise das Weingut Thörle aus Saulheim, ist eigentlich ein Musterbeispiel dafür, wie der deutsche Weinbau sich wieder zum Guten gewendet hat. Was die beiden Brüder Johannis und Christoph Thörle von dem Zeitpunkt an auf die Beine gestellt haben, ist gigantisch und beeindruckend zugleich. Die Zeiten mit viel Dornfelder und Massen von süßem Riesling und Grauburgunder sind vorbei. Die Brüder Thörle haben ganz gezielt versucht, ihre prächtigen Saulheimer Lagen, nämlich die Probstey, die Hölle und den Schlossberg, so herkunftsorientiert wie möglich auf die Flasche zu bringen. Nur was verbirgt sich hinter den geheimnisvollen Worten „Herkunft“ oder wenn man noch einen Schritt weiter gehen will, was verbirgt sich hinter dem Wort „Terroir“?
Häufig ist von unkomplizierten Alltagsweinen, im Gegenzug aber v.a. von komplexen Terroirweinen die Rede. Weingüter wie Thörle separieren ihre Qualitäten in drei Stufen: Gutsweine, Ortsweine und zu guter Letzt die großen Lagenweine.
Abb. 1 | die Herkunftspyramide
Gutsweine werden als die Visitenkarten des Weingutes ausgemacht. Sie sollen den Weinstil des Weingutes repräsentieren, gleichzeitig den Weinfreund an das Weingut heranführen. Die Gutsweine sind häufig unkompliziert und bieten für wenig Geld einen großartigen Trinkspaß. Die Trauben für die Gutsweine wachsen meist in Weinbergen, welche um das Weingut herum angesiedelt sind. Die Ortsweine wiederum sind häufig die unterschätzten Weine der Weingüter. Wie der Name schon sagt, kommen die Ortsweine aus einem Ort. So produziert Thörle Weine wie den Saulheimer Weißburgunder Kalkstein oder den Saulheimer Riesling Kalkstein, alles Weine, die ausschließlich aus Saulheimer Lagen entstehen. Ein anderer Thörle-Ortswein ist der Essenheimer Riesling, wie die Bezeichnung schon vermuten lässt, ein Riesling aus dem Ort Essenheim. Aber warum sind Ortsweine eher unterschätzt bzw. finden häufig nicht die Beachtung?
Auch wir beobachten, dass Weingenießer häufig zu den Gutsweinen eines Weingutes greifen. Natürlich hängt Vieles mit dem Preis zusammen. Gutsweine in Deutschland überragen häufig mit einem sensationellen Preis-Leistung-Verhältnis, gemessen an den Verhältnissen, wie sie zum Teil im Burgund vorzufinden sind, wo ein Bourgogne Blanc erst bei 16 € beginnt. Ab und zu greift ein Kunde dann aber zu besonderen Anlässen gerne auch zu einem höherwertigen Wein des Weingutes. Häufig beobachten wir das Szenario, dass zu einem größeren Lagenwein bzw. zu einem Großen Gewächs gegriffen wird anstatt zum Ortswein. Vermutlich liegt es einfach daran, dass viele mit dem Begriff „Ortswein“ nicht viel anfangen können. Dabei haben Weine dieser Qualität häufig schon so viel zu bieten.
Viele Ortsweine entstehen in den Großen Lagen, stammen aber aus jüngeren Reben. Junge Reben aus großartigen Lagen haben meist die Fähigkeit, bereits herkunftsbetonte und komplexe Weine entstehen zu lassen. Man schmeckt in diesen Ortsweinen das Terroir und ist nicht darauf angewiesen, den Wein jahrelang reifen lassen zu müssen, wie es meist bei Großen Gewächs der Fall ist. Ortsweine sind in jungen Jahren schon brutal attraktiv, sie können aber natürlich auch sensationell reifen. Der Thörle Saulheimer Riesling ist ein hierfür eine Parade-Beispiel. Schon in der Nase zeigt der Wein viel Charisma und vor allem Mineralität in Form von purem Kalkstein. Ein Korb voller gelber Früchte und die Kalkstein-Würze sind in jungen Jahren schon beeindruckend wahrnehmbar. Diese Elemente werden nach ein paar Jahren der Flaschenreife aber noch intensiver zur Geltung kommen. Ortsweine sind einfach beeindruckend und geben einen kleinen Einblick in die High-End-Stufe, nämlich die der Großen Lagenweine. Die Anforderungen an Lagenweine sind deutlich kleinteiliger, aufwendiger und strenger als bei Orts- oder Gutsweinen. Die Erträge am Rebstock werden drastisch reduziert, die Mostgewichte der Trauben penibel beobachtet und Leseschritte sind sorgfältiger.
Die Lagenweine als Flaggschiffe
Ein sogenannter Lagenwein oder auch Großes Gewächs ist zumeist eine Rarität – zumindest mengentechnisch. Wir reden hier von Weinen, wo jeder Winzer gemessen an seiner Weingutsgröße absolute Minimengen von erzeugt. Sei es beim Weingut Thörle der Lagenriesling aus der Hölle, beim Weingut Dreissigacker aus der Lage Morstein oder vom Weingut Schmitges aus dem Erdener Prälat. Denn neben der Tatsache, dass hier die absolut strengste und somit beste Traubenselektion in diese großen Weine kommt, ist vor allem das Alter der Rebstöcke entscheidend. Die Thörles haben mit dem Ortswein Riesling Kalkstein einen Riesling im Portfolio, welcher aus den Großen Lagen kommt, wo das Rebstockalter aber noch nicht das mitbringt, worum es in einem Großen Gewächs geht. Man stelle sich das so vor: Ein junger Rebstock, insbesondere auf kargen und steinigen Böden wie dem Kalkstein, wurzelt noch nicht so tief, wie das ein älterer Rebstock tut. Die sogenannten Alten Reben wurzeln dermaßen tief, dass sie das Herkunftsdenken am besten interpretieren können. Automatisch muss ein Winzer weniger Trauben am Stock reduzieren, denn Alte Reben bringen im Vergleich zu jungen Reben immer sehr kleinbeerige Trauben mit sich. Diese kleinbeerigen Trauben beinhalten hochkonzentrierten Saft und sehr viel Güte. Sie geben den Trauben die tiefgründigen Mineralien, die im Wein später schmeckbar sind.
Die Großen Gewächse sind häufig in ihrer Jugend geschmacklich von einer Primärfrucht geprägt, die eckig und kantig daherkommt. Der Konsument, der in den Genuss dieser GG´s im jungen Stadium kommt, weiß am Anfang häufig nicht, was den Wein denn wirklich ausmacht. Umso wichtiger ist es, diesem „Nieschen-Thema“ eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken – denn Große Gewächse regen zum Nachdenken an. In diesen Weinen steckt neben allererster Güte was Traubenmaterial und Boden angeht, auch der Charakter des Winzers dahinter. Drum beschäftigt der Konsument sich automatisch mit der Philosophie des Winzers bzw. des Weinguts, um vielleicht auch die großen Lagenweine noch besser zu verstehen.
Des Weiteren erwähnen die Winzer immer wieder, dass die Großen Gewächse gewisse Lebenszyklen durchmachen. Am Anfang dominiert die primäre Frucht. Der Wein wirkt kantig und eher leise in der Aromatik. Man kann vermuten, dass da noch viel mehr in der Zukunft zu erwarten ist. Und genau darauf zielen die Winzer auch ab. Die Großen Gewächse sollen Langstreckenläufer sein, die erst nach 8-10 Jahren im Zyklus der Reife zeigen, was sie wirklich können. Aus kantiger Wucht werden häufig weiche und harmonische Weltklasseweine, wo die Frucht nicht mehr die erste Geige spielt. Die unique Mineralität des Bodens und der Region kommt immer mehr zum Vorschein. Die anfangs noch knackige Säure (nicht nur beim Riesling 😉) ist bei guten Lagenweinen mit der Zeit gut eingebunden und trägt den Wein über weitere viele Jahre. Von daher ist per se der private Weinkeller auch heute noch eine tolle Sache. Denn sind wir mal ehrlich… weder wir noch Ihr kauft euch eine hochwertige Flasche eines Lagenweins, um ihn dann zehn Jahre im Keller reifen zu lassen. Viel mehr Sinn ergibt es, von einer Sorte mal sechs bis zwölf Flaschen mitzunehmen, um alle zwei Jahre den Wein auf den Prüfstand zu stellen, wie er sich denn mit der Reife entwickelt. Ein wie wir zugeben, freakiges Thema, was aber großen Spaß bereiten kann.
Das Thema Herkunftsweine beginnt also schon ganz unten in der Pyramide – nämlich bei den Gutsweinen. Und je mehr der Konsument bereit ist zu investieren, umso mehr bekommt er Herkunft geboten. Wir können von Glück sagen, dass wir jetzt in einer Zeit leben, in der vor allem der deutsche Wein endlich wieder die Wertschätzung erhält, die er aufgrund der herausragenden Voraussetzungen auch verdient hat. Es braucht nur jemanden, der diese Voraussetzungen kultiviert – sprich ein Winzer, der seine Herkunft liebt und lebt und täglich dafür brennt, Flaschen mit der höchsten Qualität auf den Markt zu bringen. Und die Qualität der Weine kommt immer aus dem Weinberg – eine Konsequenz, die maßgeblich dafür sorgt, dass der deutsche Wein sowohl im Inland als im Ausland mittlerweile wieder mehr geschätzt und geliebt wird.